Berlin: Knöllchen trotz Anwohnerparkausweis kostet 180,00 EURO!


Berlin-Prenzlauer Berg

Herr A (Anwohner) hat eine (teuer erworbene) Vignette für die „Parkraumbewirtschaftungszone 45“ ins Auto geklebt. Dort steht sein Bürgerkäfig an einem schönen Sommermorgen am Straßenrand. Am Abend hängt trotzdem ein hässliches Knöllchen („Verwarnungsgeldangebot“) am Scheibenwischer.

Soll er das Knöllchen (10,00 EUR) bezahlen und die Sache dann einfach vergessen?
Ärgern hilft nicht und verdirbt ihm nur die Lebensfreude.
„Bezahlen und vergessen“ kommt aber auch nicht in Betracht. „Hartnäckigen“ Falschparkern droht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin durchaus der Entzug der Fahrerlaubnis.

Also nimmt die Sache ihren Lauf:

TAG 1

Herr A macht ein Foto am „Tatort“.

TAG 2

er informiert die Bußgeldstelle online, dass er sich keiner Schuld bewusst ist. Fotos dazu lassen sich im Onlineportal nicht hochladen. Für Herrn A ist die Sache damit erledigt (denkt er).

TAG 121

Post von der Bußgeldstelle. Die stellt das Bußgeldverfahren ein, erlässt aber einen „Kostenbescheid“ gegen Herrn A. Der soll nun 23,50 EUR bezahlen, weil man nicht wisse, wer genau mit dem Auto am „Tattag“ im Prenzlauer Berg denn nicht gefahren sei. Diese „Halterhaftung“ ist in § 25 a StVG bestimmt. Dem Sachbearbeiter der Bußgeldstelle beschert das einen zeitnahen Feierabend. Diese Akte ist „schnell vom Tisch“. Oder auch nicht:

TAG 131

Herr A wendet sich schriftlich an das Amtsgericht Tiergarten. Er stellt den „Antrag auf gerichtliche Entscheidung„. Er will den Kostenbescheid nicht bezahlen. Dass er selbst sein Auto geparkt hatte, war der Bußgeldstelle seit Tag 2 bekannt. Nun muss sich ein Richter mit der Sache befassen.

TAG 215

Der Richter liest erst und schreibt dann: er wolle die Fotos vom „Tatort“ für die Gerichtsakte haben. Die bekommt er prompt (elektronisch, per EGVP). Merkt er aber zunächst nicht. Darum schreibt er Herrn A erst einmal ein paar Erinnerungen und droht mit Fristen.

TAG 269

Das Amtsgericht hat es geschafft. Der Richter hat die Bilder! Er sieht darauf: ein Auto, eine Vignette, ein Knöllchen. Den Kostenbescheid will er aber trotzdem nicht aufheben. Er (passionierter Krimileser?) mutmaßt: die Vignette könnte am „Tattag“ möglicherweise erst nachträglich im Auto angebracht worden sein, also: zwischen dem Knöllchenschreiben (12:38 Uhr) und der Anfertigung des Digitalfotos (23:02 Uhr). Wer will da noch behaupten, Juristen hätten keine Fantasie?
Herr A nicht. Der hatte so etwas schon befürchtet und inzwischen einen Verteidiger beauftragt. Der macht seine Arbeit und zeigt dem Richter den richtigen Weg: Mutmaßungen und fantastische Ideen zählen für Justizia nichts. Anders als eine „Umweltplakette“ muss die Parkvignette auch nicht fest mit der Frontscheibe verklebt sein. Der Kostenbescheid muss weg!

TAG 281

Endlich. Der Kostenbescheid der Bussgeldstelle wird vom Amtsgericht aufgehoben. Herr A muss nichts bezahlen.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz:
Der Richter hat vergessen, über die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu entscheiden.

TAG 289

Sein Verteidiger erinnert für Herrn A schriftlich beim Gericht an den Erlass der Kostenentscheidung.

TAG 354

Sein Verteidiger erinnert für Herrn A schriftlich beim Gericht an den Erlass der Kostenentscheidung, jetzt mit deutlichen Worten. Das hilft, denn an

TAG 401

ist auch die Kostenentscheidung des Amtsgerichts da, Beschluss: die Bußgeldstelle muss sämtliche Kosten des Verfahrens bezahlen.

TAG 468

die Bußgeldstelle ziert sich. Herrn A entstandene Verteidigerkosten für Akteneinsicht und die Zusendung der Digitalbilder will man ihm nicht erstatten. Diese Kosten seien nicht notwendig gewesen.

Ach? Herr A ist da ganz anderer Ansicht.

TAG 486

Sein Verteidiger muss wegen dieser Weigerung der Bussgeldstelle erneut einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen.

TAG 556

das Amtsgericht entscheidet erneut. Durch einen zweiten Richter. Beschluss: die Bußgeldbehörde muss Herrn A alle Kosten der Verteidigung erstatten, auch für Akteneinsicht und Zusendung der Digitallichtbilder.

Zwischenbilanz nach 17,5 Monaten Verfahrensdauer:
Kosten für das Land Berlin 182,67 EUR in bar (Kosten der Verteidigung),
zzgl. Kosten für die Arbeitszeit von zwei Richtern,
zzgl. Kosten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts (Mitarbeiterlöhne und Material) für insgesamt elf Schreiben,
zzgl. Kosten der Bußgeldstelle (Mitarbeiterlöhne und Material) für insgesamt fünf Schreiben

Ende gut, alles gut? Nicht ganz:
Die Bussgeldstelle findet nun den „BEZAHLEN“-Button in der hauseigenen Software einfach nicht.

TAG 569

Der Verteidiger leitet für Herrn A die Zwangsvollstreckung gegen die Bussgeldstelle ein.

… Fortsetzung folgt, stay tuned …

 

Nachklapp:

TAG 599: Die Bußgeldbehörde ruft im Büro des Verteidigers an und teilt mit: eine Zwangsvollstreckung sei „nicht notwendig„. Soeben seien die Verteidigerkosten überwiesen worden. 
Na also, geht doch! Bleibt nur eine Frage offen: Warum nicht gleich so?

2 Antworten auf „Berlin: Knöllchen trotz Anwohnerparkausweis kostet 180,00 EURO!“

  1. Ich habe nun das gleiche Problem.
    Kostenbescheid 23,50€. Der Tatort entspricht ebefalls meiner Wohnanschrift. Ein Bild mit meiner Parkvigbette habe ich der Bußgeldstelle per Email geschickt und dachte der Fall sei erledigt.
    Warum schauen diese Herrschaften vom Ordnungsamt nicht in ihr Systhem? Da ist doch vermerkt, dass ich eine Anwohnervignette habe?
    Was soll ich nun machen?

  2. Da hilft nur eines:
    hartnäckig bleiben und dem Amtsschimmel keine Möhren sondern immer weiter die Sporen geben.
    Entweder Sie gehen gegen den Kostenbescheid vor – siehe oben – oder Sie bezahlen die zu Unrecht erhobenen Kosten und hoffen darauf, dass Sie zukünftig von solchen Schildbürgerstreichen verschont bleiben.

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